Dienstag, 16. Juni 2009

12. VO – 16. Juni 2009 – Hilde Zadek



Hilde Zadek, die als Opernsängerin (Sopran) an der Wiener Staatsoper Karriere machte, wurde 1917 in Posen, damals Deutschland, geboren. Sie hat zwei jüngere und zwei ältere Schwestern. Mit 91 Jahren ist sie der älteste Gast, den Landesmann im Rahmen dieser Gesprächsreihe begrüßen durfte.

Kindheit, Jugend, Emigration

Sie war 16, als sie 1934 als Jüdin die Schule verlassen musste. Die Vorgeschichte war jedoch anders, als in vielen anderen Fällen. Denn mit Beginn der Nazi-Herrschaft in Deutschland, der den Antisemitismus zur Staatsideologie erklärte, wurde es für Zadek zusehends unangenehmer in der Schule. Als eines Tages im Turnunterricht eines der Mädchen „es stinkt nach Juden“ sagte, platzte ihr der Kragen: Sie schlug dem Mädchen die Vorderzähne aus. Darauf hin hatte sie sofort die Schule zu verlassen, bevor sie womöglich von Nationalsozialisten aus der Schule abgeholt würde.

In Deutschland einer aussichtslosen Zukunft entgegenblickend, verließ sie 1935 Deutschland in Richtung Palästina. Dort ließ sie sich als Säuglingsschwester ausbilden, als welche sie bis 1939 in Jerusalem arbeitete.

Ihre Eltern erlebten 1938 die „Kristallnacht“, in welcher ihr Vater, der ein Schuhgeschäft in Stettin besaß, verhaftet wurde. Nun sahen auch die Eltern keinen anderen Ausweg mehr, als die Emigration. Hilde konnte ihren Eltern ein Visum beschaffen. Ihr Vater kam nur unter der Bedingung aus dem KZ frei, wenn er nicht nur sofort das Land verließe, sondern auch sämtliches Vermögen bis auf 10 Mark zurückließe. Mit 10 Mark pro Person reisten also Hildes Eltern sowie ihre zwei jüngeren Schwestern nach Palästina nach. Lediglich "wertlose" Möbelstücke und Kleidung durfte die Familie in gewissem Ausmaß mitnehmen.

Der KZ-Aufenthalt des Vaters, darüber wurde auch geredet, zu Hause. Er erzählte, dass er sich sofort als Schreiber gemeldet habe, im Büro auf einem Klappbett schlafen konnte, und im Gegenzug jede erdenkliche Arbeit für seinen Vorgesetzten machte. Dadurch hatte er vergleichsweise gute Haftbedingungen.

In Jerusalem mit leeren Händen da stehend, eröffnete die Familie mit dem Know-How ihres Vaters und dem Kundenstamm von Hilde, die als Säuglingsschwester bzw. Kinderpflegerin über zahlreiche glückliche Mütter in ihrem Bekanntenkreis verfügte, ein Schuhgeschäft in Jerusalem. Das Geschäft war winzig und nur wenige Quadratmeter groß, doch der Absatz entwickelte sich prächtig. Schon nach einem Jahr übersiedelte der neue Laden in die Hauptstraße. Mit dem so dazuverdienten Geld finanzierte sich Hilde ein Studium am Konservatorium, wo sie sich zur Sängerin ausbilden ließ. Dieses Studium, dass sie wegen des Arbeitens überwiegend am Abend, von 19 bis 22 Uhr, absolvierte, schloss sie 1945 ab.

Rückkehr nach Europa

Als sie das Konservatorium abgeschlossen hatte, wollte sie ehestmöglich nach Europa zurück, um ihren Wunsch, Opernsängerin zu werden, erfüllen zu können. In Palästina ging das damals ja nicht. Sie schrieb Universitäten in New York, Paris, London und Zürich an, bezüglich eines Stipendiums – das Konservatorium hat sie ja mit Auszeichnung abgeschlossen. Aus Zürich kam sodann ein positiver Bescheid, und Zadek machte sich auf den Weg. Über Alexandria konnte sie mit einem englischen Schiff nach Toulon, dem Mittelmeerhafen der französischen Marine, reisen, bezahlt hatte sie mit Singen. Von dort führten nur überfüllte Züge nach Marseille, wo sie hin musste, um über Lyon weiter nach Zürich zu reisen.

In Palästina hatte ihr jemand einen Brief mitgegeben, als sie ihre Reise nach Zürich verkündete. Der Briefverkehr zwischen Europa und Palästina war nach Kriegsende für ein halbes Jahr nahezu unmöglich. Sie hatte in Zürich eine Telefonnummer zu wählen, um eine Übergabe des Briefes zu ermöglichen. Die Briefe waren vom Vater der in Zürich lebenden Frau, er konnte schon seit längerem kein Lebenszeichen mehr von sich aus Palästina senden, wegen des zum erliegen gekommenen Postverkehrs. Diese Frau war Renate Langhoff, Frau des aus Deutschland geflohenen Regisseurs Wolfgang Langhoff. Als die beiden Frauen ins Gespräch kamen, erzählte Renate von Problemen mit ihrem Sohn (einer ihrer Söhne), und Hilde bot an, ihr ihre Erfahrung in der Kinderbetreuung zugute kommen zu lassen. So kam es, dass Hilde, die ohnehin noch keine Ahnung hatte, wo sie in Zürich leben sollte, in die Villa der Familie in Zürich ziehen durfte.

Bei einem privaten Auftritt in einer Zürcher Wohnung wurde der Direktor der Wiener Staatsoper, Franz Salmhofer, auf sie aufmerksam. Dieser bot ihr einen Auftritt in Wien an, doch bis eine Reise nach Österreich zustande kam, dauerte es noch bis 28. Jänner 1947, wohl weil sie nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besaß. Sie benötigte 13 Stempel, alleine, um von Salzburg nach Wien zu reisen (lag wohl an den verschiedenen Besatzungszonen). Bereits fünf Tage später, am 3. Februar 1947, sang sie Aida von Giuseppe Verdi, auf italienisch versteht sich, obwohl sie kein Wort italienisch sprach und kaum fünf Tage Zeit hatte, sich auf die Rolle vorzubereiten. Der Auftritt war ein voller Erfolg, und es folgten weitere Auftritte, die sie ohne wirkliche Probe spielte.

Im Sommer 1948 sollte sie an den Salzburger Festspielen auftreten, doch ihr Pass stammte noch aus der Mandatszeit des britischen Palästina und lief mit der Staatsgründung Israels aus. Um in Salzburg auftreten zu können, brauchte sie jedoch einen (österreichischen?) Pass, jedenfalls irgendwas, um sich ausweisen zu können, auf der Reise durch die Besatzungszonen. Also geschah es, dass sie, wie unlängst auch Anna Netrebko, per Ministerratsbeschluss Österreicherin wurde.

Als Jüdin an der Staatsoper

Sie war die erste Jüdin an der Wiener Staatsoper, so Zadek. Bei einem ihrer ersten Auftritte planten einige Jugendliche (in der Staatsoper?) sie auszupfeifen. Die Jugend von damals, so Zadek, wuchs ja mit der Nazi-Indoktrination auf, sie kannten Juden ja nur so, wie sie es ständig von Lehrern oder aus der Propaganda gehört hatten: Juden hätten eine große Nase, seien klein, hässlich, stinken usw. Aber als sie nun Zadeks Auftritt sahen, wurden sie schnell eines besseren belehrt. Nach dem Auftritt sollen sie gesagt haben „Wir wollten Sie ja auspfeifen, aber dann sind wir in die Knie gegangen“.

Zadek hatte jedenfalls nie Schwierigkeiten als Jüdin an der Staatsoper. Sie habe dort keinen Antisemitismus wahrgenommen, weder unter den Kollegen, noch im Publikum. Sie entsprach, wie sie ebenfalls anmerkte, auch nicht den jüdischen Klischees.

Mit der Bevölkerung gab es schon eher Probleme. Als sie die Sieglinde Hunding aus Wagners Walküre singen sollte, bekam sie einen Schmierzettel aufs Auto: „Wir brauchen keine Sarah Hunding“ – in Anspielung auf die Nazi-Einträge in Pässen von Juden, wo alle Männer zusätzlich den Vornamen „Israel“ bekommen haben, und alle Frauen „Sarah“. Zudem gab es phasenweise antisemitische Anrufe, woraufhin sie ihr Telefon überwachen ließ.

Wie sie den Antisemitismus in Österreich heute beurteilt? Das könne sie nur wenig beurteilen, so Zadek, da müsse sie zugeben, dass sie „auf einer Insel“ lebe. Indirekt wisse sie aber, dass es einen starken Antisemitismus gibt. „Ich glaube, Antisemitismus hat nie aufgehört, der war immer da, wird immer bleiben.“

Familie

Was ihre Familie betrifft: Ihre beiden jüngeren Schwestern verließen Palästina 1946 Richtung USA, um es sich mal gut gehen zu lassen. Sie legten den wohlgemeinten Rat der Eltern jedoch etwas umfassender aus, und heirateten bereits nach einem Jahr, bekamen Kinder und blieben dort. Daraufhin hielt auch die Eltern nichts mehr in Palästina/Israel, und sie zogen nach.

Vom einstigen Besitz in Deutschland bekam die Familie nichts zurück. Die Eltern mussten sich alles wieder neu aufbauen. Erst spät bekamen sie von der deutschen Regierung eine „Wiedergutmachung“. Davon haben sie sich schließlich ein Häuschen mit Garten gekauft und „ein schönes Alter“ verbracht.

Die beiden älteren Schwestern dürften bereits früher in die USA ausgewandert sein, sie haben sich in Seattle niedergelassen.

Identität

Hilde selbst blieb aus beruflichen Gründen in Wien. „Ich bin sehr, sehr glücklich in Wien und würde es nicht verlassen“. Sie wollte aber dennoch ihre Verbindung zu Israel verstärken, wo sie immerhin von 1935 bis 1945 zehn prägende Jahre verbracht hat. Sie gab in Wien Gesangsunterricht und hatte dabei die Gelegenheit, von einer ihrer Schülerinnen Ivrit zu lernen. Bis dahin sprach sie die Sprache kaum, denn im Schuhgeschäft in Jerusalem kam man mit wenigen Worten aus, und damals sprachen generell die meisten Menschen noch die Sprache ihres Herkunftslandes und blieben eher unter sich: Russen, Polen, Deutsche/Österreicher waren die größten Gruppen.

Während ihre Geschwister in den USA „tiefe Wurzeln“ geschlagen haben und „waschechte Amerikaner“ wurden, lebe sie bereits „62 Jahre hier und spreche immer noch nicht wienerisch“ – schließlich habe sie bis 16 in Deutschland gelebt. Ihre besten Freunde habe sie in Israel, wo sie „zwischen 17 und 27 die wichtigste Zeit des Lebens verbracht“ hat.

Israel einst...

Nachdem sie Ivrit gelernt hatte, wollte sie auch ein Haus in Israel. Zufällig besaß in ihrem Bekanntenkreis jemand ein Grundstück in Jerusalem, das er verkaufen wollte. Die Lage sei ausgezeichnet, am Rande des Zentrums von Jerusalem, an einem Hang. Ohne das Grundstück zu besuchen – sie hatte viel zu tun – suchte sie sogleich nach einem Architekten. Sie erinnerte sich an einen, den sie bei einer Veranstaltung in der israelischen Botschaft traf, und der ihr sehr sympathisch in Erinnerung geblieben war. Den Namen hatte sie jedoch vergessen. Sie erkundigte sich und würde auch fündig. Doch der Architekt sagte, er sei bereits in Pension und habe zudem sein Leben lang nur Banken und Polizeigebäude gebaut. Trotzdem: „Bauen Sie mir ein Haus!“ Das war etwa Anfang 1965, und der Architekt bekam den Auftrag, das Haus so zu bauen, wie es ihm gefallen würde, müsste er selbst darin wohnen. Der Architekt arbeitete gewissenhaft an diesem Auftrag und präsentierte Zadek immer wieder Modelle. Zadek war begeistert und der Bau wurde in Auftrag gegeben. Schließlich wurde das Haus fertig, Zadek reiste nach Jerusalem und bezog ihr noch nie gesehenes Haus auf einem nie betretenen Grundstück am 7. Juli 1965. Der Architekt hieß übrigens Hoffmann.

...und heute

Doch vieles habe sich seither in Jerusalem verändert. Es gibt „so viele Bestimmungen“, und Zadek mag es gar nicht, viele Bestimmungen beachten zu müssen. Etwa, dass man am Schabbad nicht baden darf. Zadek hat ihr Haus in Jerusalem jedenfalls später wieder verkauft und ein neues bei Tel Aviv gekauft.

Was sie zur gegenwärtigen Situation in der israelischen Politik zu sagen habe? Bereits beim Namen des neu gewählten Präsidenten empört sich Zadek fürchterlich: „Also, dass der Bibi heißt, ist schon unmöglich. Wie kann man als Staatspräsident so heißen, sich so nennen lassen? Noch dazu als Mann!“ Sie selbst halte jedenfalls nichts von der israelischen Rechten, sie selbst sei ja damals auch nicht nach Palästina gegangen, weil sie Zionistin ist, sondern weil es die einzige Möglichkeit war.

Sie sei sehr dafür, dass es ein eigenständiges Palästina gibt, also eine Zweistaatenlösung, aber sie glaube gleichzeitig auch nicht, dass das die Probleme löst. Dann würde halt der Staat Palästina gegen den Staat Israel kämpfen, so Zadek. „Ich glaube, dass der Hass, der heute in die palästinensischen Kinder geimpft wird, einen Frieden nicht zulassen wird.“ Aber Deutschland und Frankreichen trugen auch über Jahrhunderte eine erbitterte Feindschaft aus, bevor sie die EU (den Vorgänger dazu) gründeten, wirft Landesmann ein. Das könne man nicht vergleiche, meint darauf Zadek. Die Mentalität der beteiligten Völker sei eine andere.

Überall wo Juden hinkämen, seien sie so begabt und fleißig, dass sie den Christen die besten Plätze wegnähmen. Sie erarbeiteten sie sich zwar hart und bekämen nichts geschenkt, doch letztendlich seien sie vielen Christen ein Dorn im Auge. Im arabischen Raum findet das ganze auf einer anderen Ebene statt: Für viele Araber sei Israel ein Dorn im Auge, so Zadek.

Politik

Zadek: „Ich bin ein völlig unpolitischer Mensch und habe nichts mit Politik zu tun“ Landesmann erstaunt: Sie habe sich doch stets von Politikern hofieren lassen und in deren Gesellschaft sehen lassen. „Betreuen lassen ja, aber das ist kein Engagement“ Sie gehe wählen, „selbstverständlich“, und zwar „die Sozialisten“, woraus sie keinen Hehl machen möchte. Privat habe sie sich einst auch mit Kreisky und Wiesenthal (wohl separat) getroffen.

Judentum

„Ich bin eine ganz ganz treue Jüdin, eine sehr bewusste Jüdin. [...] Aber ich bin keine Jüdin nach den Gesetzen der Synagoge.“ Sie lebe nicht nach den Riten, mit der IKG habe sie auch keinen Kontakt. Deswegen sei sie aber eine genau so gute Jüdin, wie jede andere auch. Warum sie keinen Kontakt mit der IKG hat? „Ich finde, die Kultusgemeinde müsste Kontakt mit mir haben, nicht umgekehrt. Ich zahle seit 60 Jahren die Beiträge“ Jeder Erlagschein, den sie von der IKG zugeschickt bekomme, zahle sie ein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen